Ihr Herz schlug heftig. Und zwar nicht etwa, weil der Aufstieg so lang
und steil war . Sie wusste, wenn sie einen falschen Schritt tat, konnte
sie den Abhang zu ihrer Rechten hinab rutschen und in den Fluss
stürzen, der zu dieser Jahreszeit auch einem erfahrenen Schwimmer
schnell den Tod bringen konnte. Und dann auch noch bei Nacht! Niemand
würde sie sehen und retten.
Leise Zweifel beschlichen sie. Was, wenn das, was sie tat, nicht das
Richtige war? Sie fühlte, wie sich ihre Brust zusammen krampfte. Die
Hochstimmung, die sie noch am Morgen erfüllt hatte, war im Laufe des
Tages zuerst einer leichten Anspannung und dann einem mulmigen Gefühl im
Bauch gewichen. Um ihre Angst zu besiegen aber auch um den Segen der
Göttin zu erflehen fing sie leise an zu singen "Isis, Astarte, Diana,
Hekate, Demeter, Kali, Inanna..."
Sofort fühlte sie sich besser. Sie wusste, dass sie nicht stürzen würde,
dass sie die Prüfung, die vor ihr lag, bestehen würde und dass sie auch
morgen noch bei ihren Schwestern würde wohnen dürfen. Ein plötzliches
Geräusch ließ sie zusammen zucken. Was war das? Ein Knistern im
Unterholz. Hier gab es doch keine wilden Tiere, oder? Und wenn, würden
sie ihr dann etwas antun wollen? Sie konzentrierte sich auf das, was man
sie während des letzten Jahres gelehrt hatte. Ruhig atmen, die Sinne
ausstrecken, die Füße mit dem Boden und den Kopf mit dem Himmel
verschmelzen lassen. Nun, da sie eins mit der Mutter war, spürte sie das
Leben, das sie umgab. Immer wieder war es ein erhebendes Gefühl.
Teilzuhaben am Leben. All die vielen Tiere und Pflanzen, die sie nun
spüren konnte, ließen sie kurz ehrfürchtig erschaudern. So still diese
Nacht auch war, sie war doch voller Leben. Die Geschöpfe der Nacht waren
eifrig damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern. Sie jagten, gruben
Wurzeln aus, pflückten Blätter und Beeren, ... Und nun erkannte sie auch
die Ursache des Geräusches: Sie hatte einen Igel aufgeschreckt.
Erleichtert zog sie sich wieder zurück, um sich ihrer eigentlichen
Aufgabe zu widmen. Sie wollte die Höhle in der Felswand aufsuchen, in
der auch ihre Schwestern von der Göttin berührt worden waren. Die
Geburtshöhle wurde sie genannt. Und sie sollte dort hineingehen, um
wiedergeboren zu werden. Die Geschichte um Innanas Abstieg in die
Unterwelt kam ihr in den Sinn. Ob das, was vor ihr lag, wohl tatsächlich
Ähnlichkeit damit hatte? Shandra hatte ihr gegenüber einmal so eine
Bemerkung gemacht. Aber man würde sie dort wohl kaum töten und ihren
Leichnam mit Haken an der Wand aufhängen wollen! Wiedergeburt war wohl
in dem Zusammenhang eher symbolisch gemeint.
Sie schüttelte den Kopf. Um die Bilder, die sie nun unweigerlich im Kopf
hatte, abzuschütteln, erinnerte sie sich an das, was Cecile ihr gesagt
hatte: Im Bassin vor der Höhle sollte sie sich reinigen und dann in die
Höhle hinabsteigen. Das allein konnte nicht so schwierig sein, doch sie
konnte sich nicht vorstellen, dass Cecile ihr die ganze Wahrheit gesagt
hatte...!
Cecile tat ohnehin oft geheimnisvoll und gab selten eine andere Antwort
als "Finde es selbst heraus!" Die Frau musste schmunzeln, als sie daran
dachte, wie oft sie ob dieser Antwort entnervt aufgestöhnt hatte. Nach
einem Jahr freilich wusste sie nun, dass diese Antwort ihr mehr gegeben
hatte, als jede andere, doch das zu lernen war ein harter Weg. Und es
war ein Weg ohne Ziel. Und doch würde sie ihn gehen, wohin er sie auch
führen mochte. Im Moment führte dieser Weg sie nackt und ohne Licht
einen Berg hinauf, ohne die leiseste Ahnung, was sie dort erwarten
würde... "...find's raus..." Fast meinte sie, Ceciles flüstern zu hören.
Als der Wind die Wolken endgültig vom Himmel gefegt hatte, wurde sie von
einem wundervollen Sternenhimmel begrüßt. Im hellen Mondlicht erkannte
sie, dass sie das Plateau vor dem Höhleneingang schon fast erreicht
hatte. Nur noch wenige Meter trennten sie von dem Becken, dessen eisiges
Wasser sie gleich in Empfang nehmen würde. Doch durch den steilen
Aufstieg war sie ein wenig außer Atem gekommen. So nutzte sie die Zeit,
die sie sich zum Atem schöpfen nahm, um sich ein Wenig umzusehen. Wie
verändert hier alles aussah, wenn der Platz nur vom Schein der Mondin
beleuchtet wurde. Ohne ihre Schwestern und ohne das große Feuer, das
sonst in der Mitte des Platzes brannte, wirkte dieser Ort seltsam groß
und leer. Fast gespenstisch, als hätte die Welt für einen Augenblick den
Atem angehalten. Vor ihr lag der Eingang zur Höhle, neben dem die
Quelle aus dem Fels brach. Das Becken, das von dieser Quelle gespeist
wurde, war ein rechteckiges Loch im Stein, das etwa doppelt so lang wie
breit und an der tiefsten Stelle etwa zwei Meter tief war. Sein Abfluss
war von der Oberfläche aus nicht zu erkennen. An der Stirnseite führten
steinerne Stufen hinab, sodass man das Becken gut betreten und verlassen
konnte. Als sie sich dem Wasser näherte, sah sie auf dem Rand, der auf
beiden Seiten etwas erhöht war, ein Bündel liegen.
Neugierig näherte sich die Junge Frau. Sie öffnete das Päckchen und sah,
dass sich darin zwei Stoffbeutel befanden, die zweifellos die Kräuter,
mit denen sie sich reinigen würde, enthielten. Sie nahm die Beutel in
die Hand und roch daran. Sie ahnte, was sie enthalten würden und
richtig, der erste Beutel verströmte den säuerlich-herben Duft von
Salbei. Sie liebte diesen Geruch. Aus dem zweiten strömte ihr der
schwache Zitrusgeruch des Eisenkrauts entgegen. Nun hieß es noch einmal
tief durchatmen! Sie wusste, die Zeremonie hatte begonnen. Sie hatten
den Aufstieg geschafft und die Sterne und die Mondin leuchteten ihr Mut
zu. Keine Wolke war mehr am Himmel zu sehen, und da sie sich auf dem
Hochplateau befand, verdeckte nun auch kein Baumwipfel mehr den Blick zu
den funkelnden Lichtern. Unter anderen Umständen wäre sie gerne hier
geblieben. Hätte sich auf den Boden gelegt und die Stimmung in sich
aufgenommen. Aber sie war hier, weil sie etwas zu erledigen hatte. Etwas
wichtiges. Etwas, das ihr Leben für immer verändern würde.
Als sie die erste Wasser bedeckte Stufe der Steintreppe betrat, dachte
sie, ihr Herz sei für einen Moment stehen geblieben. Himmel war dieses
Wasser kalt! Wie sollte sie es bloß schaffen da hinein zu gehen?
Millimeter für Millimeter arbeitete sich voran. Die Kniekehle ist die
schlimmste Stelle, versuchte sie sich einzureden. Wenn die erst mal
geschafft ist... Doch dann kamen die Innenseiten der Oberschenkel. Und
dann der Bauch... Irgendwie ist doch alles gleich schlimm, dachte sie
japsend und stellte fest, dass ihr Atem, der sich nach dem Aufstieg
gerade beruhigt hatte, nun wieder schneller ging. Es stellte sich
bereits ein leichter Schwindel ein und ihre Fingerspitzen fingen an, zu
kribbeln. Daher zwang sie sich, ruhig und nicht zu tief zu atmen.
Endlich hatte sie es geschafft. Sie stand bis zum Bauch im Wasser. Sie
öffnete den ersten Beutel und sprach:
" Oh Kraft, die Du im Salbei wohnst. Leihe diesem Wasser Deine Essenz,
um meinen Körper zu reinigen. "
Während sie diese Worte sprach, ließ sie die getrockneten Blätter aus
dem Beutel in das Becken rieseln. Sorgfältig legte sie das nun leere
Behältnis auf dem Beckenrand ab. Dann hob sie erneut die Stimme und
sagte:
" Oh Kraft, der heiligen Verbena. Leihe diesem Wasser Deinen Geist, um
meine Gedanken zu klären. ",
während sie dem Wasser das Eisenkraut zugab. Auch den zweiten Beutel
legte sie auf dem Rand des Bassins ab. Dann schöpfte sie mit beiden
Händen Wasser aus dem Becken und rezitierte den Rest der Formel, die sie
schon so oft gesprochen hatte:
" Ich schöpfe dieses geweihte Wasser. Beseelt durch die Essenz heiliger
Kräuter möge es meinen Körper in ein reines Gefäß verwandeln. "
Mit diesen Worten goss sie sich das Wasser über den Kopf. Sie schöpfte
eine weitere Handvoll Wasser.
" Ich schöpfe dieses geweihte Wasser. Beseelt durch den Geist heiliger
Kräuter möge es meinen Verstand klären und meinen Willen stärken. "
Wieder goss sie sich das Wasser über die Haare, die nun feucht und
strähnig auf ihren Rücken hinab hingen. Ein letztes mal hob sie nun ihre
Stimme an und diesmal waren die Worte neu:
" Ich trinke dieses geweihte Wasser, um Körper und Geist zu stärken, auf
dass Deine heiligen Kräuter, oh Göttin, mir die Kraft geben mögen, ..."
-hier heil wieder raus zu kommen-, dachte sie " ...heute Nacht in
Deinen Armen wiedergeboren zu werden! "
Mit einem großen Schluck trank sie das Wasser, das sie geschöpft hatte,
damit es ihr nicht zwischen den Fingern hindurch rinnen konnte. Es
schmeckte -nicht nur wegen der Kälte- unglaublich frisch. Sie hielt kurz
die Luft an und tauchte einmal in das Becken. Prustend tauchte sie
wieder auf. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Würdevoll wollte sie
diese Zeremonie begehen und nicht wie ein Kind im Wasser herum
plantschen. Aber es hatte sie ja, der Göttin sei dank, niemand
gesehen,...
Leicht fröstelnd stieg sie die Steinstufen wieder empor. Ihre Haut
prickelte, und kaum dass der erste Windhauch ihre feuchte Haut streifte,
fühlte sie, wie die Härchen an ihren Armen und Beinen sich aufstellten.
Nun aber schnell in die Höhle, wo es wenigstens windgeschützt war!
Frierend und Zähne klappernd erreichte sie den Eingang. Mit einer
Mischung aus Furcht, Neugier und dem Drang, ins Warme zu kommen, betrat
sie die Höhle. Ein dunkles Loch im Felsen. Und sie war immer noch nackt.
Sie war froh, dass ihre Mutter sie nicht sehen konnte. Die hätte dafür
natürlich kein Verständnis aufbringen können. Genauso wie sie für die
verrückten Phantasien ihrer Tochter, wie sie sich auszudrücken pflegte,
nie Verständnis hatte aufbringen wollen. Deswegen war sie auch
weggelaufen. Damals. Damals, wie das klang. Als sei es schon ewig her
gewesen. Dabei war seither erst ein Jahr vergangen. Ein Jahr und ein
Tag, um genau zu sein. So lange lebte sie bei den Menschen, die sie zum
ersten mal in ihrem Leben wirklich verstanden hatten. Und wenn sie ohne
Kleidung zurück kam, dann würde sie diese neue Familie verlieren. Sie
müßte fort gehen und wäre auf sich gestellt. Als ob dieser Gedanke ihr
neue Kraft gegeben hätte, spürte sie, wie sich die Muskeln auf ihrem
Rücken strafften. Sie atmete tief ein und wusste: Ich schaffe es! Morgen
würde sie Priesterin sein und voll anerkanntes Mitglied der
Gemeinschaft, die ihr in diesem einen Jahr mehr gegeben hatte, als ihre
Familie in den ganzen 19 Jahren davor.
Blinzelnd bemerkte sie, dass es in der Höhle gar nicht so dunkel war,
wie sie zunächst angenommen hatte. Sie befand sich in einem kleinen fast
runden Raum, dessen Boden mit Geröll und Felsen bedeckt war. Im
hinteren Teil des Raumes klaffte ein Spalt in der Wand, hinter dem sie
ein flackerndes rötliches Licht erkennen konnte. Gespannt ging sie
darauf zu. Die junge Frau hatte kaum den Spalt im Fels erreicht, als
sich von einem der Steinblöcke ein in dunkle Gewänder gehüllter Schatten
löste. Mit fester Stimme fragte die Gestalt: "Ich bin die Wächterin der
dunklen Mutter, in deren Reich Du auf diesem Weg gelangst. Was ist Dein
Begehr?" Allen Mut zusammennehmend antwortete sie "Ich will Deiner
Herrin ins Angesicht blicken!" "Der dunklen Mutter gegenüber zu treten
bedeutet Deinen Tod. Ist es dennoch Dein Wille, ihr zu begegnen?" Allen
Mut zusammennehmend entgegnete sie: "Ja, es ist mein Wille. Geburt, Tod
und Wiedergeburt, das ist der Lauf allen Lebens. Und ich bin bereit,
mein Schicksal anzunehmen." Lautlos trat die Gestalt zurück, um mit den
Schatten der Höhle zu verschmelzen. Dabei gab sie den Weg zu dem
Durchgang frei. Ein innerer Instinkt versuchte, die nackte Frau zum
Umkehren zu bewegen. "Flüchte, solange Du noch kannst!" rief ihr
Überlebenswille ihr zu. Eine leichte Welle der Übelkeit brandete in ihr
hoch und nur mühsam konnte sie sich zum Weitergehen zwingen. Sie atmete
noch einmal tief ein und zwängte sich dann durch den engen Durchgang.
Die Luft auf der anderen Seite war von Weihrauch erfüllt, unter dessen
süßliches Aroma sich ein weiterer Geruch gemischt hatte. Schwer und
würzig, fast beißend, stieg der Duft brennender Kräuter in ihre Nase.
Fast wurde ihr ein wenig schwindlig davon. Der Nebel, der zweifellos von
der Räucherung herrührte, war so dicht, dass man den Weg, der tiefer in
die Höhle führte, kaum noch erkennen konnte. Das rötliche Flackern um
sie herum ließ Fackeln an den Wänden erahnen, überall huschten Schatten
an ihr vorüber. Langsam, Schritt für Schritt folgte sie dem Weg, der nun
leicht bergab führte. Warm und weich wie Watte fühlte sich der nackte
Fels unter ihren Füßen an, während sie ins Innere der Höhle vordrang.
Endlose Minuten ging sie, begleitet vom lauten Pochen ihres Herzens und
den allgegenwärtigen zuckenden Schatten. Sie konnte nicht sagen, wie
lang sie gelaufen war, als sich der Nebelschleier lichtete und sie sah,
dass sie am Ende der Höhle angekommen war. Vor ihr auf einem Thron aus
Stein saß eine Gestalt, die sich nun, angesichts des Besuchers langsam
erhob. Mit einer Stimme, die keinem lebenden Menschen gehören konnte
sprach sie:"Ich bin die Herrin des Totenreiches. Ich bin das Ende jeden
Lebens. Ich bin die Erfüllung des Schicksals." Noch ehe sie darüber
nachdenken konnte, was sie darauf entgegnen sollte, spürte sie, wie ihre
Lippen einen Satz formten: "Ich komme, um mein Schicksal anzunehmen.
Lass mich den Tod finden, um bereit zu sein für das Geschenk der
Wiedergeburt." "Wie ist dein Name?" Diese Stimme konnte einen das
Fürchten lehren. "Meinen Namen legte ich mit meinen Kleidern ab. Nackt
und namenlos stehe ich vor Dir, oh Herrin, denn in Deinem Reich sind
weder Name noch Stand von Bedeutung." "Dann tritt vor, meine Tochter."
Fast schien es, als wollten ihre Füße ihr nicht gehorchen, doch
schließlich schaffte sie es, einen Schritt auf den Thron zuzugehen, um
vor der dunklen Mutter niederzuknien. Fast liebevoll und dennoch mit
festem Griff hob die majestätische Gestalt die junge Frau auf. "Sieh mir
in die Augen, meine Tochter!"
Als sich die Blicke trafen, spürte sie einen scharfen Schmerz, der von
ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Ihr Herz krampfte sich zusammen und
wo zuvor noch das pochende Rauschen in ihren Ohren gedröhnt hatte,
breitete sich nun Stille aus, als die Göttin sie küsste. Schwärze trat
vor ihre Augen und sie fühlte einen tiefen inneren Frieden. Sie trieb
auf einem Fluss, dessen warmes Wasser sie sanft schaukelte. Dumpfe Töne
drangen durch die Stille, ein Lachen, wie aus weiter Ferne, ein
rhythmisches Klopfen, das von Trommeln oder einem Herzschlag herrühren
konnte. Sie fühlte sich geborgen. Alle Angst, alle Sorgen waren nun
Vergangenheit. Fort gespült von dem Wasser, das sie trug. Sie hätte sich
noch ewig diesem Gefühl hingeben mögen, als eine Welle über ihr
zusammen schlug. Sie tauchte ein in den Fluss des Lebens und fühlte sich
magisch angezogen von einem Licht tief unter ihr. Neugierig schwamm sie
darauf zu. Es war eine Höhle unter Wasser, durch die das Licht drang.
Der Eingang war schmal und sie fragte sich, ob sie es wohl schaffen
würde, sich hindurch zu zwängen. Doch der Stein war glatt, keine Kante
stand hervor, an der sie sich hätte verletzen können. Angelockt von dem
Licht steckte sie nun ihre Arme und gleich darauf ihren Kopf in die
öffnung, dann versuchte sie, auf der anderen Seite einen Halt zu finden,
an dem sie sich durch das Loch ziehen konnte. Mit einem Ruck zog sie
sich hindurch und schlug auf der anderen Seite hart auf dem Boden auf.
Ihr wurde schwarz vor Augen.
Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich vor der Öffnung in der Felswand
wieder. Es roch immer noch schwach nach den Kräutern und dem Weihrauch,
doch die Fackeln waren bis auf jene, die neben dem Eingang in einem
eisernen Fackelhalter angebracht war, erloschen. War sie am Ende beim
Betreten der Höhle gestürzt und hatte das alles nur geträumt? Hatte sie
die Prüfung nicht bestanden und die Fackeln waren erloschen, weil ihre
Schwestern wieder gegangen waren? Sie spürte schon die Tränen in sich
aufsteigen, als ihr Blick auf ein Bündel fiel, das neben dem Durchgang
auf einem Steinquader lag. Eine Robe! Sie würde nicht nackt zu ihren
Schwestern zurückkehren. Das musste bedeuten, dass sie nun eine
Priesterin war! Sie ließ ihre Hände über den festen, dunkelblauen
Wollstoff gleiten. Dann konnte nichts mehr sie davon abbringen in ihre
neue Kleidung zu schlüpfen. Auch ein schmaler aus Leder geflochtener
Gürtel lag für sie bereit, den sie sich sofort umlegte. Sie nahm die
Fackel aus dem Halter und trat durch den Spalt. Als sie in der Höhle
ankam, setzte plötzlich Trommelschlag ein. All ihre Schwestern waren
hier versammelt, um die neue Priesterin in ihrer Mitte zu feiern.
"Willkommen zu Hause, Myotis!" sagte Cecile, deren Stimme nun wieder
menschlich klang. "Und, wie war's?" bestürmte eine Novizin sie
neugierig. In diesem Moment wusste die Frau, die nun Myotis hieß, dass
es auf manche Fragen eigentlich nur EINE gute Antwort gibt. Eine
Antwort, die so wenig sagt und doch so viel. Eine Antwort, die ihr
selbst nie genug gesagt hatte. So lächelte sie die Novizin an und gab
ihr diese einzige Antwort: "Find's raus!"